12.06.2025 – land und region

Still, unscheinbar, aber hochproblematisch – die Schilfglasflügelzikade (Pentastiridius leporinus) entwickelt sich zu einem der ernstzunehmendsten Schädlinge für die deutsche Landwirtschaft. Lange Zeit kaum beachtet, breitet sie sich durch milde Winter und steigende Temperaturen rasant aus, mit gravierenden Folgen für zentrale Kulturen wie Zuckerrüben und Kartoffeln.

Der eigentliche Schaden entsteht nicht durch das Tier selbst, sondern durch das, was es überträgt: Die Zikade gilt als Hauptüberträger zweier gefährlicher Pflanzenkrankheiten, Stolbur (verursacht durch Candidatus Phytoplasma solani) und SBR, das sogenannte Syndrom der Schwarzbeinigkeit. Beide Krankheiten schwächen die Pflanzen massiv, senken die Erträge und führen zu Qualitätsverlusten bis hin zur vollständigen Unverwertbarkeit der Ernte.

Immer mehr Kulturen betroffen

Was bislang vor allem Zuckerrüben betraf, hat sich inzwischen auf Kartoffeln und zunehmend auch auf Gemüsearten ausgeweitet. Im Extremfall verwandelt Stolbur die Wurzeln und Knollen in gummiartige Masse, mit Folgen für Lagerfähigkeit, Verarbeitung und Absatz. Einzelne Regionen berichten bereits von Ernteverlusten bis zu 70 Prozent und das bei Kulturpflanzen, die in Deutschland bislang eine hohe Eigenversorgungsquote ermöglichten.

Hinzu kommt: Es gibt derzeit keine zugelassenen Pflanzenschutzmittel, die eine gezielte Bekämpfung der Schilfglasflügelzikade ermöglichen. Die Landwirtschaft steht faktisch ohne Werkzeuge da. Fruchtfolgeänderungen, Bodenvorbereitung und Monitoring können helfen, reichen aber bei weitem nicht aus, um den Befall einzudämmen. Notfallzulassungen einzelner Insektizide unter strengen Auflagen stellen bislang die einzige Möglichkeit dar, überhaupt zu reagieren, allerdings oft zu spät, zu punktuell und nicht flächendeckend wirksam.

Ein Problem mit regionaler Wucht

Besonders betroffen sind Anbauregionen in Süd- und Mitteldeutschland, etwa Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz, aber auch in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt wurden die Zikaden inzwischen gesichtet. Die Ausbreitung folgt dabei einer klaren Klimalogik: Warme Frühsommer und milde Winter begünstigen die Populationsentwicklung erheblich. Der Klimawandel wirkt hier nicht als abstrakte Größe, sondern als realer Beschleuniger einer landwirtschaftlichen Bedrohung.

Für viele Betriebe geht es inzwischen um die wirtschaftliche Existenz. Die Schäden entstehen nicht nur durch direkte Ernteausfälle, sondern auch durch erhöhten Sortieraufwand, den Verlust von Pflanzgut, mangelnde Lagerfähigkeit und fehlende Abnehmer für qualitativ beeinträchtigte Ware. Besonders kritisch: In vielen Fällen kommt befallene Ware gar nicht mehr in den Handel, was für die Verbraucher bedeutet, dass die Versorgung mit heimischen Kartoffeln und Gemüse langfristig unter Druck gerät.

Die wirtschaftlichen und strukturellen Risiken für die Landwirtschaft sind enorm. Das betrifft nicht nur einzelne Kulturen, sondern das gesamte Agrarsystem, das auf Planbarkeit, Verlässlichkeit und funktionierende Versorgungsketten angewiesen ist.

Was jetzt zu tun ist

Was jetzt gebraucht wird, ist ein entschiedenes, schnelles Handeln der Politik. Dazu gehört die gezielte Förderung von Forschung zur Resistenzzüchtung, effektive und rechtzeitig einsetzbare Pflanzenschutzlösungen, sowie ein klarer Rahmen für Monitoring, Beratung und betriebliche Prävention. Gleichzeitig muss über langfristige biologische Bekämpfungsstrategien nachgedacht werden, etwa durch die Förderung natürlicher Gegenspieler der Zikade.

Die Schilfglasflügelzikade steht exemplarisch für eine neue Generation von Herausforderungen in der Landwirtschaft: Unsichtbar, vielschichtig, beschleunigt durch den Klimawandel und bislang weitgehend unterschätzt. Es ist an der Zeit, das zu ändern. Die Erträge, die Versorgung und die Zukunft ganzer Regionen stehen auf dem Spiel.

Grüße gehen raus ins Land und die Region.

Autor:

Redaktion Land und Region
Christian Kluge

Fotos: Kluge Kommunikation

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