24.11.2025 – land und region
Kaum ein Thema wird derzeit so leidenschaftlich diskutiert wie die Wiedervernässung von Mooren. In politischen Konzeptpapieren klingt sie oft nach einem schnellen Hebel für mehr Klimaschutz. Doch vor Ort zeigt sich ein anderes Bild: Moore sind nicht nur CO₂-Speicher, sondern auch jahrzehntelang genutzte Wirtschaftsflächen, Lebensräume und Heimat für Menschen, die dort leben und arbeiten. Bei der Auftaktveranstaltung des Arbeitskreises Moorbodenschutz, wurde deutlich, wie groß die Bereitschaft vieler Betriebe ist, Verantwortung zu übernehmen aber auch, wie komplex die Aufgabe tatsächlich ist. Diese Realität gehört in jede sachliche Debatte.
Warum Moore überhaupt entwässert wurden
Die Entwässerung der Moorstandorte war keine Laune der Geschichte, sondern eine Überlebensstrategie. Jahrhundertelang galt: „Dem ersten den Tod, dem zweiten die Not, dem dritten das Brot.“ Gemeint ist die harte, gefährliche und oft generationenlange Arbeit, die nötig war, um nasse, unzugängliche Böden überhaupt nutzbar zu machen. Aus diesen Flächen wurden landwirtschaftliche Betriebe, Dörfer, Häuser, Straßen und Arbeitsplätze. Torf war über lange Zeit ein unverzichtbarer Brennstoff. Die Nutzung war also Teil eines gesellschaftlichen Fortschritts, nicht dessen Gegenteil. Diese historische Perspektive ist wichtig, wenn heute über Renaturierung diskutiert wird.
Klimaschutz ja – aber nicht ohne regionale Lebensrealität
Moorböden speichern große Mengen Kohlenstoff und geben bei Trockenlegung nachweislich Emissionen ab. Klimaschutz ist hier also sinnvoll und notwendig. Doch in politischen Strategien wird die Wiedervernässung häufig als universeller Lösungsweg beschrieben ohne die sehr unterschiedlichen regionalen Strukturen mitzudenken. In den Marsch- und Geestregionen Norddeutschlands liegen ganze Wirtschafts- und Lebensräume auf ehemaligen Moorböden. Es geht nicht um einzelne Hektar, sondern um ganze Gemeinden. Wenn der Wasserstand dort pauschal angehoben wird, gefährdet das nicht nur die Bewirtschaftung, sondern auch Gebäude, Straßen und Infrastruktur. Deshalb warnen Fachleute und Landwirte vor schnellen Maßnahmen ohne differenzierte Planung.
Landwirtschaft zwischen Anspruch und Verantwortung
Viele Landwirtinnen und Landwirte sind längst dabei, Lösungen zu entwickeln. Auf dem Treffen des neuen Arbeitskreises wurde das spürbar: Hier arbeiten Praktikerinnen und Praktiker an Konzepten für nasse Bewirtschaftungsformen, für Moorgrünland, für angepasste Tierhaltung und für regionale Klimaschutzprojekte. Es entsteht ein Netzwerk, das nicht blockiert, sondern gestaltet. Doch auch diese Bereitschaft braucht verlässliche Rahmenbedingungen. Ein Betrieb kann nicht gleichzeitig Produktionssicherheit gewährleisten und unkalkulierbare Eingriffe in den Wasserhaushalt schultern. Wiedervernässung ist ein Eingriff in ein ganzes System und Systeme lassen sich nur mit den Menschen verändern, die darin arbeiten.
Warum Pauschallösungen scheitern
Die pauschale Forderung „Moor muss nass“ greift zu kurz. Sie ignoriert die Unterschiede zwischen Hochmooren, Niedermooren, Grünlandnutzung und Ackerstandorten. Sie übersieht, dass Wasser nicht an Feldgrenzen haltmacht. Und sie lässt offen, wer haftet, wenn Wiesen, Höfe oder Wohnhäuser geschädigt werden. Ebenso wenig berücksichtigt sie, dass landwirtschaftliche Nutzung selbst positive Effekte haben kann etwa durch standortangepasstes Grünlandmanagement, humusmehrende Bewirtschaftung oder extensive Tierhaltung. Moor ist ein sensibles Ökosystem, aber auch ein gewachsener Lebensraum. Genau deshalb braucht es Lösungen, die naturwissenschaftlich fundiert, betrieblich machbar und sozial verträglich sind.
Warum wir handeln müssen, aber mit realistischem Blick
In der Moorfrage geht es nicht darum, ob wir etwas tun, sondern wie. Untätigkeit wäre die schlechteste aller Optionen, denn die Herausforderungen im Klimaschutz sind real. Gleichzeitig muss jede Maßnahme den wirtschaftlichen und sozialen Wert dieser Regionen berücksichtigen. Moorstandorte sind hochproduktive Gebiete mit einer starken Wertschöpfungskette: Ein landwirtschaftlicher Betrieb sichert im Durchschnitt mehrere Arbeitsplätze im vor- und nachgelagerten Bereich. In Niedersachsen zeigt sich das besonders deutlich, denn nahezu ein Viertel der deutschen Milchproduktion stammt aus diesem Bundesland – und ein Großteil davon aus Moorregionen. Wer diese Flächen verändern will, greift deshalb in ein komplexes Gefüge aus Betrieben, Milchstrukturen und Lieferketten ein. Hinzu kommt eine bisher unbeantwortete Kernfrage: Woher soll das zusätzliche Wasser für die Wiedervernässung eigentlich kommen, und welche Folgen hätte das für umliegende Höfe, Ortschaften und Infrastrukturen? Damit wird deutlich, dass Fördersysteme neu gedacht werden müssen. Es braucht mehr als den pauschalen Fokus auf paludikulturelle Nutzungen. Gefragt sind flexible Ansätze, die regionale Gegebenheiten respektieren und Raum für innovative Lösungen lassen, die Klimaschutz und Landwirtschaft zusammenbringen.
Was jetzt wichtig ist
Wiedervernässung kann ein Baustein des Klimaschutzes sein aber nur dann, wenn sie sorgfältig geplant wird, regional angepasst ist und gemeinsam mit den Menschen erfolgt, die Verantwortung für ihre Landschaft tragen. Die Landwirtschaft zeigt dafür Bereitschaft, wie der neue Arbeitskreis eindrucksvoll zeigt. Politik und Verwaltung sollten diese Expertise nutzen und nicht über die Köpfe der Regionen hinweg entscheiden. Wer Moor schützen will, darf es nicht zu einer einfachen Formel reduzieren. Zukunft entsteht dort, wo Ziel und Weg zusammenpassen und wo Klima- und Lebensschutz nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Grüße gehen raus ins Land und die Region.
Autor:
Redaktion Land und Region
Christian Kluge
Fotos: Kluge Kommunikation